Ketose - Der geheime Weg zu mehr Energie
Stoffwechsel kann ein langweiliges Thema sein, doch wer die Zusammenhänge versteht, wird darüber staunen, wie Gesundheit und Wohlbefinden mit den biochemischen Abläufen im Körper im Zusammenhang stehen. In einer Zeit, in der Zucker in großen Mengen zur alltäglichen Nahrung gehört, scheint ein Seitenzweig des Stoffwechsels kaum noch von Bedeutung zu sein. Doch die Ketose, die Energieversorgung ohne Zucker, ist weit mehr als ein ein Notfallprogramm.
Jede Zelle benötigt Energie
Jede Zelle im menschlichen Körper benötigt Energie, um richtig funktionieren zu können. Als Hauptenergiespeicher für die Zellen dient Adenosintriphosphat (ATP), ohne dessen Anwesenheit keine biochemischen Prozesse in einer Zelle stattfinden können. Verfügt eine Zelle über kein ATP mehr, stirbt sie.
Damit die Zellen immer genügend Energie bekommen, wird ATP permanent neu gebildet. Dies passiert in den Mitochondrien bei der sogenannten Zellatmung. Dabei wird Zucker in Form von Glukose unter Sauerstoffverbrauch abgebaut. Das entstandene ATP kann dann für alle möglichen Prozesse verwendet werden. Es ist der Strom, der die Zelle am Laufen hält und die Glukose befeuert den Generator.
Um sicherzustellen, dass für diesen Generator genügend Glukose zur Verfüg steht, kann der Zucker in Form von Glykogen gespeichert werden. Im Bedarfsfall wird es dann wieder zu Glukose umgewandelt, so dass sie der Zellatmung zugänglich ist. Diese Speicherkapazitäten sind allerdings stark begrenzt. Ein erwachsener Mensch speichert im Durchschnitt nur 2000 kcal in Form von Glykogen. Das bedeutet, dass diese Reserve bei relativer Ruhe an einem Tag aufgebraucht ist, bei sportlicher Aktivität deutlich schneller.
Wäre der menschliche Stoffwechsel also nur auf Zucker angewiesen, hätte der Mensch wohl kaum bis heute überlebt. Fette liefern im Vergleich zu Zucker etwa die doppelte Menge an Energie und können dazu auch noch gut gespeichert werden. Die Fettdepots eines normalgewichtigen Erwachsenen beinhalten genügend Energie, um bis zu 30 Tage zu überleben.
Fettsäuren werden im sogenannten beta-Oxidationszyklus zerlegt, dessen Produkt Acetyl-CoA ist, ein wichtiges Zwischenprodukt für die Herstellung von ATP. Auch dieser Prozess findet in den Mitochondrien aller Zellen statt. Dabei arbeitet die Verbrennung von Fett und Zucker Hand in Hand, solange beide Rohstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Der Sonderweg über Ketone
Unter besonderen Bedingungen können die biochemischen Prozesse zur Energiegewinnung allerdings um einen Faktor erweitert werden: Ketone.
Als Ketone, oder auch Ketonkörper, werden drei Substanzen bezeichnet: Aceton, Acetoacetat und beta-Hydroxytutyrat (BHB). Sie entstehen im sogenannten Lynen-Zyklus und stellen die Transportform von Acetyl-CoA dar. So werden Ketone nach der Bildung aus den Leberzellen in die Blutbahn abgegeben und gelangen so zu allen Zellen den Körpers, wo sie wieder zu Acetyl-CoA gespalten werden und so die Bildung von ATP befeuern.
Da Ketone sehr klein sind, können sie sogar die Blut-Hirn-Schranke passieren und die Nervenzellen mit wichtiger Energie versorgen. Bis in die 1970er Jahre gingen Wissenschaftler davon aus, dass das Gehirn Zucker als einzige Energiequelle nutzt. Der amerikanische Neurowissenschaftler Louis Sokoloff stellte 1973 in einer Übersichtsarbeit fest, dass das Gehirn bei einem Mangel an Glukose die benötigte Energie über Ketonkörper erhält.
Aufgrund der Tatsache, dass die Energiegewinnung über Ketone einen besonderen Stoffwechselweg darstellt, wurde sie mit einem eigenen Namen definiert: Ketose.
Als Ketose wird der Stoffwechselzustand bezeichnet, bei dem der Gehalt an Ketonkörpern im Blut, Urin oder der Atemluft höher ist als normalerweise, während andere Messwerte unverändert sind. In diesem Zustand dienen die Ketone als wichtigster akuter Brennstoff für die Gewinnung von Energie und versorgen in erste Linie die Muskulatur und das Gehirn.
Dieser Stoffwechselweg ist eine Hintertür, die die Versorgung des Organismus mit Energie sicherstellt, wenn schnell verfügbare Brennstoffe, in erster Linie Zucker, nicht ausreichend vorhanden sind. Ursprünglich greift er in erster Linie in Notsituationen, wie Nahrungsmangel oder bei starker körperlicher Anstrengung. Gerade in einer solchen Notsituation benötigen die Muskeln und auch das Gehirn aber besonders viel Energie. Aus diesem Grunde ist die Energiegewinnung aus Ketonen sehr effizient, so dass der Körper einen regelrechten Energieschub bekommt. Mit Hilfe dieses Schubes kann sich der Mensch schneller aus der Notsituation befreien und wieder in einen Ruhezustand übergehen. Gleichzeitig werden Fettreserven mobilisiert, so dass der erhöhte Energiebedarf schnell gedeckt werden kann.
Ketose in der Wissenschaft
Die Wissenschaft beschäftigt sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv mit dem Nutzen der Ketose. So fanden Forscher heraus, dass Fasten zu einer Linderung der Symptome von Epilepsie, insbesondere bei Kindern, führt. Diesen Effekt konnten sie auf den Anstieg der Ketonkörper im Blut zurückführen. Im Jahr 1925 veröffentlichten Mediziner der Mayo Klinik im US-Bundesstaat Cleveland erstmals Therapieerfolge bei Kleinkindern mit Epilepsie durch eine sogenannte ketogene Diät. Diese Diät war besonders fettreich und zuckerarm und erlaubte es den Kindern in Ketose zu sein, ohne hungern zu müssen. Allein die erhöhten Ketonwerte im Blut der Kinder reduzierte die epileptischen Krämpfe. Bis in die 1980er Jahre hinein war die ketogene Diät eine häufig angewendete Therapieform bei frühkindlicher Epilepsie. Mit der Entwicklung wirkungsvoller Medikamente geriet sie jedoch in diesem Bereich ins Hintertreffen und wird heute nur noch selten bei therapieresistenten Formen der Epilepsie angewendet.
In den letzten 100 Jahren wurde die Ketose weitreichend analysiert, um zu verstehen, welche positiven Effekte sie noch auf den menschlichen Körper hat. Zusammenfassend lassen sich folgende Vorteile der Ketose finden.
In Ketose:
- verfügen die Muskeln über mehr Energie und sind leistungsfähiger und ausdauernder.
- verfügt das Gehirn über mehr Energie und arbeitet fokussiert und konzentriert.
- wird die Fettverbrennung maximiert, so dass Fettpolster schnell schwinden.
- werden weniger freie Radikale freigesetzt, wodurch der Körper weniger oxidativem Stress ausgesetzt ist.
- werden Entzündungsprozesse gemildert.
All diese Vorteile führten zu dem verlockenden Gedanken, den Körper absichtlich ganz ohne Notsituation oder Krankheit in den Zustand der Ketose zu versetzten. Bereits in den 1980er Jahren profitierten von diesem Wissen Hochleistungssportler. Seitdem rückt die Erkenntnis immer mehr zum Durchschnittsmenschen vor, dass ein flexibler Stoffwechsel mit Ketoseanteilen viele Vorteile mit sich bringt.
Wege in die Ketose
Heute können grundsätzlich zwei Wege in die Ketose unterschieden werden. Der erste Weg führt über endogene, also körpereigene Ketone. Hierbei wird der Stoffwechsel in einen Zustand versetzt, in dem ein Glucose- oder Glycogenmangel vorliegt. Dies wird durch Fasten, intensivem Sport oder einer streng ketogenen Ernährung erreicht, bei der dem Körper sehr wenig Zucker zugeführt wird. Anstelle dessen werden reichlich Fette aufgenommen, insbesondere solche, die sehr effizient zu Ketonen umgebaut werden können.
Deutlich unkomplizierter ist der Weg über sogenannte exogene Ketone, also solche, die dem Körper von außen zugeführt werden. Auf diese Weise kann der Ketonspiegel im Blut auch dann erhöht werden, wenn der Körper eigentlich gar keinen Mangel an Zucker hat. Ketodrinks bringen den Nutzer in die komfortable Lage, die Vorteile einer Ketose nutzen zu können, ohne das Verhalten im Bereich Ernährung oder Sport stark ändern zu müssen.
Quellen
1) Ulrike Gonder, Julia Tulipan, Marina Lommel, Brigitte Karner: „Der Keto Kompass“, systemed 2018
2) Hubert Rehm, Friederike Hammar: „Biochemie light“, Verlag Harri Deutsch 2001
3) Louis Sokoloff (1973). Metabolism of Ketone Bodies by the Brain. Annual Review of Medicine Vol. 24:271-280
4) M. G. Peterman (1925). The ketogenic diet in epilepsy. JAMA. 1925;84(26):1979-1983.doi:10.1001/jama.1925.02660520007003